„Nicht nur reden, sondern tun“ Gender Mainstreaming im Verwaltungshandeln – Gender Training, ein Praxisbericht (Teil 3)

Gender Training3Dank einer umfassenden Strukturreform in der Verwaltung weist der Landkreis Holzminden seit einigen Jahren ein ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern in Führungspositionen auf. Doch darauf will man sich nicht ausruhen. Mit zwei vorangegangenen Gender Trainings hat der Landkreis Holzminden bereits 2016

  • die Führungskräfte der Kommunalverwaltung für Gender Aspekte sensibilisiert und
  • die interne Zusammenarbeit der Männer und Frauen mit Führungsauftrag gefördert, insbesondere mit Blick auf die Schlüsselkompetenzen „Kommunikation“ und „Konfliktfähigkeit“.

In 2018 soll das Thema Gender Mainstreaming nun breiter im alltäglichen Verwaltungshandeln verankert werden. Der Auftakt dazu war am 25. Mai das Gender Training Nr.3, erneut mit dem Moderationsteam Birgit Schiche/ Sven Friedrichs.

Frauen erleben die Welt anders als Männer

Unter dem Motto „Frauen erleben die Welt anders als Männer“ startete der Tag mit einem Impulsvortrag. Es wurde deutlich, dass Artikel 3 des Grundgesetzes seit 1949 die Gleichberechtigung beider Geschlechter garantiert und den Staat zur Beseitigung aller Benachteiligungen verpflichtet, doch auch das Verständnis von „Gleichberechtigung“ hat sich über die Jahre verändert. So werden gesetzliche Einschränkungen für Frauen erst nach und nach abgebaut, z.B. dürfen Frauen seit 1950 ohne Zustimmung ihre Ehemänner ein eigenes Konto eröffnen und den Führerschein machen, seit 1977 eigenständig eine Arbeit aufnehmen, seit 1992 auch in Nachtschichten arbeiten.

Dabei bestehen die entscheidenden Gremien bis heute mehrheitlich aus Männern. Selbst wenn alle Frauen in einem Gremium für einen Verbesserungsvorschlag votieren, können sie ohne männliche Unterstützer keine Mehrheiten erreichen. Ein Grund mehr, dass sich Männer und Frauen gemeinsam für Chancengleichheit stark machen und für Gender-Aspekte sensibilisieren.

Auch andere Facetten des Alltags erleben Frauen anders als Männer, z.B. mit Blick aufs Portemonnaie: Frauen verdienen i.d.R. weniger („Gender Pay Gap“ – hier gehört Deutschland zu den Schlusslichtern Europas), haben schlechtere Karrierechancen und ein deutlich höheres Armutsrisiko im Alter oder nach einer Scheidung. Sie stellen die überwiegende Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten und erledigen den größten Teil der unbezahlten Arbeit für die Familie, wie Hausarbeiten, Erziehung und Pflege.

Gleichzeitig zahlen Frauen bei achtzig Prozent aller Dienstleistungen einen höheren Preis für vergleichbare Leistungen (z.B. Friseur, Reinigung). Für viele Hygieneartikel, die sich bis auf Duftnote oder Farbe der Verpackung nicht von den männlichen Pendants unterscheiden, bezahlen Frauen ebenfalls mehr, auch für z.B. Elektrogeräte und andere Produkte in „Frauenfarbe Pink“. Kosmetikartikel, ohne die Frauen schnell als „unattraktiv“ oder „ungepflegt“ gelten, sind besonders teuer, ebenso die ständig wechselnde Damenmode. Darüber hinaus tragen unverheiratete Frauen mehrheitlich allein die relativ hohen Kosten für Verhütungsmittel.

Auch der Tagesablauf sieht für die Mehrheit der Frauen spätestens nach Familiengründung deutlich anders aus als für Männer, was sich an typischen Mobilitätsmustern verdeutlichen lässt. Während die Männer morgens meist mit dem Auto zur Arbeit fahren und abends zurück kehren, bringen Frauen per Fahrrad, Bus oder zu Fuß die Kinder in Kindergarten und Schule, bevor sie einer Teilzeittätigkeit nachgehen und auf dem Heimweg schnell noch einige Einkäufe erledigen, die Sprösslinge von Kindergarten und Schule wieder abholen und ggf. zum Sport oder Musikunterricht oder einfach zu einem Arztbesuch bringen.

Doch was hat all das mit dem Verwaltungshandeln zu tun?

Der Unconscious Bias und seine Konsequenzen

Die meisten Entscheidungen, die wir treffen,  sind sehr viel stärker von äußeren Umständen und Normen beeinflusst als es uns bewusst ist. Zum Beispiel eben von Geschlechterstereotypen.

Stereotype heißt, individuelle Informationen werden ersetzt durch Kategorien-Informationen. Sprich: Eine Erfahrung oder eine Person wird in eine (Denk-)Schubladen eingeordnet aufgrund einer Ähnlichkeit oder Assoziation. Stereotype dienen als einfache Entscheidungsregeln  („Faustregeln“), die uns erlauben, Informationen leichter zu verarbeiten. Sie können zutreffen, müssen sie aber nicht – und häufig ergibt sich so eine verzerrte Wahrnehmung. Das ist leider mehr die Regel als die Ausnahme. Denn unser Gehirn liebt Vertrautes und Denk-Abkürzungen und fokussiert sich darauf.

Solche Schablonen, die unbewusst und systematisch wertend verwendet werden nennt man „Unconscious Bias“. Differenzierte Wahrnehmung wird so blockiert. Und schlimmer noch: Stereotype, die beschreiben, wie wir glauben, dass die Welt sei, verwandeln sich häufig in Vorschriften, wie die Welt sein sollte. Oder unsere Rollenerwartungen an Männer und Frauen.

Wir können die Grundstrukturen unseres Gehirns nicht verändern, aber wir können entscheiden, welche Konsequenzen wir aus solchen Stereotypen zulassen wollen und welche nicht. Und wir können uns um „kontrollierte Subjektivität“ bemühen, indem wir uns unsere Denkautobahnen und Schubladen immer wieder bewusst machen. Daher gilt es, Prozesse und Vorgehensweisen bewusst aus diesem Blickwinkel zu hinterfragen. Denn nicht Frauen oder Männer müssen sich ändern, sondern die Spielregeln. Chancengleichheit ist eine gesellschaftliche Aufgabe.

Verhaltensdesign für mehr Chancengerechtigkeit

VerhaltensdesignDen Begriff „Verhaltensdesign“ hat die Schweizer Verhaltensökonomin und Autorin Iris Bohnet („What Works“) geprägt.  Verhaltensdesign für Chancengerechtigkeit meint, dass man Menschen in ihren Entscheidungen gezielt im Sinne von mehr Offenheit statt Stereotype beeinflusst, ohne ihre Entscheidungsfreiheit einzuschränken. In diesem Sinne werden Entscheidungs- und Handlungsprozesse bewusst hinterfragt und angepasst. Manchmal kann schon eine kleine Veränderung einen großen Unterschied im Ergebnis erzeugen.

Ein Beispiel: In den siebziger Jahren lag der Frauenanteil in den US-amerikanischen Top-Orchestern bei 5 Prozent, obwohl die Jurymitglieder absolut überzeugt waren, dass sie Kandidaten und Kandidatinnen rein nach dem objektiven musikalischen Können auswählten. Sind Frauen also schlechtere Musiker?

Irgendwann probierten die Orchester es aus, Bewerberinnen und Bewerber beim Vorspielen hinter einen Vorhang zu setzen. Das Ergebnis: In der ersten Runde erhöhte sich die Erfolgsquote um 50 Prozent, wenn ihre künftigen Kollegen nicht wussten, wer da spielt. In der Finalrunde erhielten sogar dreimal mehr Frauen eine Zusage für die Aufnahme ins Orchester, wenn sie hinter dem Vorhang musizieren.

Gender Mainstreaming im Verwaltungshandeln

Wie kann Gendergerechtigkeit im Sinne gelebter Chancengleichheit für alle durch Verwaltungshandeln gefördert werden, wobei regelmäßig die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern berücksichtigt werden? Nach einer Kurz-Vorstellung zweier Methoden für die Gender-Arbeit stand genau diese Frage im Mittelpunkt der folgenden Arbeitsgruppenphase. Hier diskutierten die Führungskräfte u.a. über

  • eine übergreifende Gender-Strategie
  • gendergerechte Sprache im Verwaltungshandeln
  • Gender Budgeting
  • Gender Mainstreaming in „Bau und Stadtentwicklung“ oder „Migration und Integration“
  • gendergerechte Angebote in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bzw. in der Bildungsarbeit
  • und weitere Aspekte.

Sechs Männer überlegten spontan, wie sie sich konkret für Chancengleichheit und Feminismus einsetzen können.

Vom Reden ins Tun kommen

Der Impulsvortrag „Storytelling und mentales Training“ rundete diese Phase ab. In der abschließenden De-Bono-Diskussion sammelten die Führungskräfte Fragen und Bedenken, Denkanstöße und praxisnahe Ideen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. „Wir sollten es möglich machen, dass intern Männer für einen Tag typische Frauenarbeitsplätze kennenlernen und Frauen klassische Männerjobs ausprobieren können, um neue Blickwinkel zu ermöglichen“, schlugen die Führungskräfte vor, oder: „Eine Software, die automatisch in eine gendergerechte Sprache umformuliert, das wäre echt praktisch!“. Und: „Wenn sich alle, Frauen wie Männer, Feminismus auf die Fahne schreiben, dann wachsen gegenseitiges Verständnis und Chancengleichheit viel schneller“. „Wir brauchen wohl noch mehr Hilfe bei der Konkretisiserung des Themas. Auch in Blick auf Seminare für die Teams“, lautete am Ende des Tages das Fazit einer Führungskraft. Die fröhliche Atmosphäre, abwechslungsreiche Gestaltung und Offenheit der Beteiligten in Diskussion und Dialogen waren nach mehrheitlicher Meinung die wichtigsten Erfolgsfaktoren dieses Tages.

Mit dem Auftrag, nun in den Fachbereichen vom Reden ins Tun zu kommen und die vielfältigen Anregungen wirklich für die Praxis zu nutzen, beendete Landrätin Angela Schürzeberg das dritte Gender Training. Dazu hatte sie noch ein besonders Angebot: Die ersten sechs Teams, die in die Umsetzung gehen wollten, konnten einen Beratungstag mit Birgit Schiche buchen. Innerhalb kürzester Zeit waren diese Beratertage belegt.