Frauenförderung in Unternehmen

Frauenförderung in Unternehmen

Von einer Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Genau gesagt 202 Jahre, wenn es im derzeitigen Tempo weitergeht, so errechnete das Weltwirtschaftsforum in seinem „Global Gender Gap Report 2018“.¹ „Frauenförderung“ – schon das Wort wirkt stigmatisierend und löst bei vielen Männern spontane Ängste und Abwehr aus, und selbst bei Frauen hinterlässt es einen bitteren Beigeschmack. Denn gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Immer mehr von demselben macht es auch nicht besser. In ihrer jetzigen Form verstärkt Frauenförderung die alten Rollenbilder eher noch.

Das Phänomen der gläsernen Decke

Die Arbeitswelt wurde über Jahrhunderte von Männern geprägt und strukturiert, nach ihrem vorwiegenden Verständnis funktioniert sie bestens und kann so bleiben. Das Phänomen der gläsernen Decke entsteht daher durch drei bei Männern in Entscheidungspositionen überwiegend vertretene Haltungen, die Frauen den Weg in Spitzenpositionen verbauen:

  • Die konservative Haltung: Frauen werden in „Männerkreisen“ grundsätzlich abgelehnt. Sie hätten zwar die höhere Sozialkompetenz, verhielten sich aber unter dem Druck der höheren Verantwortung härter als ein Mann, verlören so ihre Sozialkompetenz und seien damit auch nicht mehr authentisch und glaubwürdig. Außerdem müssten sie nun einmal die Kinder bekommen und der Spagat Familie-Beruf sei einfach eine unlösbare Überforderung.
  • Die emanzipierte Haltung: Im mittleren Management sollten Frauen und Männer gleich vertreten sein, doch für höhere Ebenen fehle es Frauen einfach an Durchsetzungsvermögen. Da gehe es um Effizienz und knallharte Umsatzzahlen, das benötige viel mehr Härte … weiter siehe oben.
  • Der radikale Individualismus: Es komme einzig und allein auf die individuelle Kompetenz an, Rollenbilder hätten keine Bedeutung mehr, wir hätten doch alle die gleichen Chancen. Allerdings gäbe es bei den Frauen leider zu viele Defizite, sie wählten die falschen Berufe und würden meist selbst gar nicht in verantwortungsvolle Positionen wollen. So gäbe es einfach zu wenig fachlich geeignete, authentische und flexible Frauen für Top- Positionen.

Erfüllt eine Frau dennoch eine der von Männern genannten Anforderungen für Führungspositionen (Härte im Widerspruch zum althergebrachten Frauenbild, Durchsetzungsfähigkeit in männlichen Machtstrukturen, Fachlichkeit plus Authentizität und Flexibilität), steht sie damit immer gleichzeitig im Widerspruch zu den anderen beiden.

Eine Frau, die trotz allem die gläserne Decke überwunden und es in eine Spitzenposition wie Vorstand oder Aufsichtsrat geschafft hat, braucht einen verständnisvollen Partner, der bereit ist, seinerseits zurückzustecken und ihr den Rücken freizuhalten. Sonst müsste sie auf eine eigene Familie verzichten, was wiederum ihrem Ansehen schadet. Davon berichten viele Frauen, die sich zu dieser kleinen Elite zählen dürfen. Keine Frage, sie haben bewiesen, dass Frauen in Spitzenpositionen überzeugen können, und verdienen Achtung und Respekt. Doch hier werden die Rollenbilder einfach nur umgekehrt. Ansonsten bleibt alles beim Alten.

Frauenförderung stärkt althergebrachte Strukturen

Frauenförderung, wie sie bislang überwiegend umgesetzt wird, folgt der männlichen Argumentation und setzt an den vermeintlichen Defiziten der Frauen an.

Angeboten werden besonders häufig Seminare, in denen Frauen lernen, im männlich geprägten Arbeitsumfeld zurechtzukommen und „mitzuspielen“. Also Kommunizieren, Entscheidungen treffen und Führen wie Männer, sich in den vorhandenen Strukturen bewegen können. So bleiben sie stets unter Beweisdruck, dass sie ebenso gut oder gar besser sind als Männer. Gleichzeitig schaffen sie selbst bei hohem Frauenanteil in der Belegschaft nur relativ selten den Schritt durch die gläserne Decke in eine Spitzenposition. Das gilt als Scheitern der Frauen und ist Wasser auf den Mühlen der Gegner von Frauen in Führungspositionen und Frauenquoten, wobei selbst viele Frauen in diesem Sinne argumentieren („Ich hätte lieber einen Chef als eine Chefin.“, „Ich will keine Quotenfrau sein.“). Das System erhält sich selbst. Frauenförderung ist Teil dieses Systems.

Selbst die bei Arbeitgebern beliebten Auszeichnungen und Zertifikate für Frauenförderung im Unternehmen sind kontraproduktiv, solange sie nur auf Quoten und Angebote für Frauen z.B. zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausgerichtet sind. Zum einen zementieren sie alte Rollenbilder. Zum anderen geht es nicht nur darum, wie und wie viele Frauen in Führungspositionen kommen, sondern wie wirksam sie im Unternehmen mitgestalten können, um Strukturen nachhaltig zu verändern.

Frauenförderung an sich ist ein Denkfehler

„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind“, hat es Einstein bereits auf den Punkt gebracht.

Im 21. Jahrhundert kann es nicht mehr der Weg sein, Frauen an ein System anzupassen, das in jeder Hinsicht auf das Karrierebild von Männern in hierarchischen Organisationen ausgerichtet ist und in dem die Beurteilung von Kompetenz und Leistung stets nach einheitlichen, von Männern für Männer geschaffenen Kriterien erfolgt. Daran ändern auch Frauenquoten oder Mixed Leadership nichts, selbst wenn diese die öffentliche Diskussion fördern und mehr Frauen ermutigen. Frauen brauchen keine Nachhilfe und müssen auch nicht beweisen, dass sie mit Männern in der Arbeitswelt mithalten können. Das ist keine Frage. Es bleibt dabei zu viel Potenzial auf der Strecke. Es ist nichts falsch an den Frauen, der Wurm liegt im System.

Das System den Menschen und ihrer Diversität anpassen

Was Frauen wirklich brauchen sind gleiche Chancen, eine Anerkennungskultur und mehr Offenheit für andere Perspektiven und Ideen. Und das Selbstbewusstsein, eigene, weibliche Fußspuren setzen zu können und zu wollen. Dazu muss sich einiges in den Strukturen der Organisationen und Köpfen der Menschen verändern – parallel zu einander und nicht erst nacheinander.

Impulse für die Struktur:

  • Den Rahmen bildet ein kluges Diversity Management in enger Verzahnung mit einer Transformationstrategie für eine neue Arbeitswelt und Leadership 4.0. Eine kluges Diversity Management sorgt nicht nur für Vielfalt in der Belegschaft allgemein und in den Führungsebenen im Besonderen. Es sorgt auch dafür, dass die unterschiedlichen Menschen wirklich mitreden und mitgestalten können. Außerdem fördert es verschiedene Lösungsmöglichkeiten, die parallel gelebt werden können, sei es bei der Flexibilität von Arbeitszeit und Arbeitsort oder Laufbahngestaltung, der Wahl von Kommunikationswegen und – mitteln oder Wegen der Entscheidungsfindung. Der Wandel für eine neue Arbeitswelt fördert ein neues Verständnis von Führung/Macht, Kommunikation und Transparenz – entscheidende Faktoren für eine neue Micropolitik (Wer kommt wie in bestimmte Positionen, wer hat wie viel Einfluss, wie werden Entscheidungen getroffen etc.) im Unternehmen.
  • Statt Frauenförderung den Fokus richten auf Talentförderung, individuelle Personalentwicklung und lebensphasenorientierte Laufbahngestaltung. Je mehr auch hier Diversität in den Formen der Umsetzung gefördert und nutzbar gemacht wird, umso mehr profitieren Menschen und Unternehmen davon.
  • Größtmögliche Flexibilisierung von Arbeitsort und Arbeitszeit wäre ein echter Fortschritt. Präsenzstunden sagen nichts aus über Leistung. Stattdessen stabilisiert die Präsenzkultur alte Rollenbilder und Aufgabenzuschreibungen.
  • Mehr Projektaufgaben, eine Selbstverständlichkeit von Führung auf Zeit (unabhängig von Vollzeit) und ein Mix aus Arbeits- und Lernformen (in Präsenzform ebenso wie mit digitalen Tools) können weiter dafür sorgen, dass Menschen ihre Potenziale bestmöglich im Unternehmen einsetzen. Angebote, die das Netzwerken und kollegiale Unterstützung intern und über den Tellerrand des Unternehmens hinaus unterstützen, sind weitere Pluspunkte.
  • Alle Angebote sollten natürlich nicht nur im Rahmen von Frauenförderung sondern ausdrücklich für alle Beschäftigten gelten, unabhängig von Geschlecht und Elternschaft, Alter, Stundenumfang und Befristung des Arbeitsvertrages usw. Nur so trägt die Diversity-Strategie des Unternehmens zum Wandel in den Köpfen der Einzelnen bei.

Impulse für die Köpfe:

  • Wichtig ist ein Bewusstmachen und Aufbrechen der Gender-Stereotype, z.B. durch Gender Trainings, bis hin zu der Frage, wie sich Gender Mainstreaming in der täglichen Arbeit intern und je nach Branche auch in der Arbeit für den Kunden umsetzen lässt. Intern kommen so z.B. Recruiting, Aufgabenzuschnitte und Kompetenzanforderungen, Beurteilungssystematiken und Auswahlverfahren auf den Prüfstand ebenso wie Präsenzkultur, Meeting-Gewohnheiten uvm. Auch das Sichtbar-Machen von Frauen und ihren Leistungen ist ein wichtiger Beitrag dazu. Profitieren können davon nicht nur Frauen, sondern alle im Unternehmen.
  • Die besten Angebote nützen nichts, wenn Frauen sie nicht annehmen. Für sie gilt: Selbst mitgestalten und sichtbar bzw. hörbar werden statt auf eine Aufforderung zu warten. Außerdem Chancen nutzen, egal ob als „Quotenfrau“, wegen der Kompetenz oder sonst etwas. Männer fragen auch nicht, wie sie eine Chance bekommen haben, sondern greifen zu und setzen im Zweifelsfall auf Learning-on-the-job. Und sie tun gut daran.
  • Schluss mit dem unnötigen Männer-gegen-Frauen/Frauen-gegen-Männer-Gerede. Es gibt nicht eine große Zahl an Frauen, die mit beiden Beinen im Berufsleben stehen und verantwortungsvolle Jobs auch in Spitzenpositionen übernehmen können. Genauso gibt es viele Männer, die nicht immer nur Job und Karriere an erste Stelle setzen wollen, um einem veralteten Rollenbild zu entsprechen, sondern sich längst andere Prioritäten setzen und genauso Familienaufgaben wahrnehmen wollen. Die das Potenzial von Frauen und Vielfalt in der Arbeitswelt erkannt haben und sich für Chancengleichheit einsetzen – nicht nur bei der Kampagne #HeForShe.
  • Wenn Plan A nicht funktioniert, dann sollte man einen Plan B haben, statt Plan A einfach nur zu recyceln. Das gilt auch für die Frauenförderung. Lassen Sie uns über Plan B reden.

Hinweis:

[1] „Global Gender Gap Report 2018 als Download: https://www.weforum.org/reports/the-global-gender-gap-report-2018

Dieser Artikel ist erstmals am 28.01.2019 im Blog von t2informatik unter https://t2informatik.de/blog/prozesse-methoden/frauenfoerderung-in-unternehmen/ erschienen und ist auch auf Englisch verfügbar.

„Nicht nur reden, sondern tun“ Gender Mainstreaming im Verwaltungshandeln – Gender Training, ein Praxisbericht (Teil 3)

Gender Training3Dank einer umfassenden Strukturreform in der Verwaltung weist der Landkreis Holzminden seit einigen Jahren ein ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern in Führungspositionen auf. Doch darauf will man sich nicht ausruhen. Mit zwei vorangegangenen Gender Trainings hat der Landkreis Holzminden bereits 2016

  • die Führungskräfte der Kommunalverwaltung für Gender Aspekte sensibilisiert und
  • die interne Zusammenarbeit der Männer und Frauen mit Führungsauftrag gefördert, insbesondere mit Blick auf die Schlüsselkompetenzen „Kommunikation“ und „Konfliktfähigkeit“.

In 2018 soll das Thema Gender Mainstreaming nun breiter im alltäglichen Verwaltungshandeln verankert werden. Der Auftakt dazu war am 25. Mai das Gender Training Nr.3, erneut mit dem Moderationsteam Birgit Schiche/ Sven Friedrichs.

Frauen erleben die Welt anders als Männer

Unter dem Motto „Frauen erleben die Welt anders als Männer“ startete der Tag mit einem Impulsvortrag. Es wurde deutlich, dass Artikel 3 des Grundgesetzes seit 1949 die Gleichberechtigung beider Geschlechter garantiert und den Staat zur Beseitigung aller Benachteiligungen verpflichtet, doch auch das Verständnis von „Gleichberechtigung“ hat sich über die Jahre verändert. So werden gesetzliche Einschränkungen für Frauen erst nach und nach abgebaut, z.B. dürfen Frauen seit 1950 ohne Zustimmung ihre Ehemänner ein eigenes Konto eröffnen und den Führerschein machen, seit 1977 eigenständig eine Arbeit aufnehmen, seit 1992 auch in Nachtschichten arbeiten.

Dabei bestehen die entscheidenden Gremien bis heute mehrheitlich aus Männern. Selbst wenn alle Frauen in einem Gremium für einen Verbesserungsvorschlag votieren, können sie ohne männliche Unterstützer keine Mehrheiten erreichen. Ein Grund mehr, dass sich Männer und Frauen gemeinsam für Chancengleichheit stark machen und für Gender-Aspekte sensibilisieren.

Auch andere Facetten des Alltags erleben Frauen anders als Männer, z.B. mit Blick aufs Portemonnaie: Frauen verdienen i.d.R. weniger („Gender Pay Gap“ – hier gehört Deutschland zu den Schlusslichtern Europas), haben schlechtere Karrierechancen und ein deutlich höheres Armutsrisiko im Alter oder nach einer Scheidung. Sie stellen die überwiegende Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten und erledigen den größten Teil der unbezahlten Arbeit für die Familie, wie Hausarbeiten, Erziehung und Pflege.

Gleichzeitig zahlen Frauen bei achtzig Prozent aller Dienstleistungen einen höheren Preis für vergleichbare Leistungen (z.B. Friseur, Reinigung). Für viele Hygieneartikel, die sich bis auf Duftnote oder Farbe der Verpackung nicht von den männlichen Pendants unterscheiden, bezahlen Frauen ebenfalls mehr, auch für z.B. Elektrogeräte und andere Produkte in „Frauenfarbe Pink“. Kosmetikartikel, ohne die Frauen schnell als „unattraktiv“ oder „ungepflegt“ gelten, sind besonders teuer, ebenso die ständig wechselnde Damenmode. Darüber hinaus tragen unverheiratete Frauen mehrheitlich allein die relativ hohen Kosten für Verhütungsmittel.

Auch der Tagesablauf sieht für die Mehrheit der Frauen spätestens nach Familiengründung deutlich anders aus als für Männer, was sich an typischen Mobilitätsmustern verdeutlichen lässt. Während die Männer morgens meist mit dem Auto zur Arbeit fahren und abends zurück kehren, bringen Frauen per Fahrrad, Bus oder zu Fuß die Kinder in Kindergarten und Schule, bevor sie einer Teilzeittätigkeit nachgehen und auf dem Heimweg schnell noch einige Einkäufe erledigen, die Sprösslinge von Kindergarten und Schule wieder abholen und ggf. zum Sport oder Musikunterricht oder einfach zu einem Arztbesuch bringen.

Doch was hat all das mit dem Verwaltungshandeln zu tun?

Der Unconscious Bias und seine Konsequenzen

Die meisten Entscheidungen, die wir treffen,  sind sehr viel stärker von äußeren Umständen und Normen beeinflusst als es uns bewusst ist. Zum Beispiel eben von Geschlechterstereotypen.

Stereotype heißt, individuelle Informationen werden ersetzt durch Kategorien-Informationen. Sprich: Eine Erfahrung oder eine Person wird in eine (Denk-)Schubladen eingeordnet aufgrund einer Ähnlichkeit oder Assoziation. Stereotype dienen als einfache Entscheidungsregeln  („Faustregeln“), die uns erlauben, Informationen leichter zu verarbeiten. Sie können zutreffen, müssen sie aber nicht – und häufig ergibt sich so eine verzerrte Wahrnehmung. Das ist leider mehr die Regel als die Ausnahme. Denn unser Gehirn liebt Vertrautes und Denk-Abkürzungen und fokussiert sich darauf.

Solche Schablonen, die unbewusst und systematisch wertend verwendet werden nennt man „Unconscious Bias“. Differenzierte Wahrnehmung wird so blockiert. Und schlimmer noch: Stereotype, die beschreiben, wie wir glauben, dass die Welt sei, verwandeln sich häufig in Vorschriften, wie die Welt sein sollte. Oder unsere Rollenerwartungen an Männer und Frauen.

Wir können die Grundstrukturen unseres Gehirns nicht verändern, aber wir können entscheiden, welche Konsequenzen wir aus solchen Stereotypen zulassen wollen und welche nicht. Und wir können uns um „kontrollierte Subjektivität“ bemühen, indem wir uns unsere Denkautobahnen und Schubladen immer wieder bewusst machen. Daher gilt es, Prozesse und Vorgehensweisen bewusst aus diesem Blickwinkel zu hinterfragen. Denn nicht Frauen oder Männer müssen sich ändern, sondern die Spielregeln. Chancengleichheit ist eine gesellschaftliche Aufgabe.

Verhaltensdesign für mehr Chancengerechtigkeit

VerhaltensdesignDen Begriff „Verhaltensdesign“ hat die Schweizer Verhaltensökonomin und Autorin Iris Bohnet („What Works“) geprägt.  Verhaltensdesign für Chancengerechtigkeit meint, dass man Menschen in ihren Entscheidungen gezielt im Sinne von mehr Offenheit statt Stereotype beeinflusst, ohne ihre Entscheidungsfreiheit einzuschränken. In diesem Sinne werden Entscheidungs- und Handlungsprozesse bewusst hinterfragt und angepasst. Manchmal kann schon eine kleine Veränderung einen großen Unterschied im Ergebnis erzeugen.

Ein Beispiel: In den siebziger Jahren lag der Frauenanteil in den US-amerikanischen Top-Orchestern bei 5 Prozent, obwohl die Jurymitglieder absolut überzeugt waren, dass sie Kandidaten und Kandidatinnen rein nach dem objektiven musikalischen Können auswählten. Sind Frauen also schlechtere Musiker?

Irgendwann probierten die Orchester es aus, Bewerberinnen und Bewerber beim Vorspielen hinter einen Vorhang zu setzen. Das Ergebnis: In der ersten Runde erhöhte sich die Erfolgsquote um 50 Prozent, wenn ihre künftigen Kollegen nicht wussten, wer da spielt. In der Finalrunde erhielten sogar dreimal mehr Frauen eine Zusage für die Aufnahme ins Orchester, wenn sie hinter dem Vorhang musizieren.

Gender Mainstreaming im Verwaltungshandeln

Wie kann Gendergerechtigkeit im Sinne gelebter Chancengleichheit für alle durch Verwaltungshandeln gefördert werden, wobei regelmäßig die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern berücksichtigt werden? Nach einer Kurz-Vorstellung zweier Methoden für die Gender-Arbeit stand genau diese Frage im Mittelpunkt der folgenden Arbeitsgruppenphase. Hier diskutierten die Führungskräfte u.a. über

  • eine übergreifende Gender-Strategie
  • gendergerechte Sprache im Verwaltungshandeln
  • Gender Budgeting
  • Gender Mainstreaming in „Bau und Stadtentwicklung“ oder „Migration und Integration“
  • gendergerechte Angebote in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bzw. in der Bildungsarbeit
  • und weitere Aspekte.

Sechs Männer überlegten spontan, wie sie sich konkret für Chancengleichheit und Feminismus einsetzen können.

Vom Reden ins Tun kommen

Der Impulsvortrag „Storytelling und mentales Training“ rundete diese Phase ab. In der abschließenden De-Bono-Diskussion sammelten die Führungskräfte Fragen und Bedenken, Denkanstöße und praxisnahe Ideen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. „Wir sollten es möglich machen, dass intern Männer für einen Tag typische Frauenarbeitsplätze kennenlernen und Frauen klassische Männerjobs ausprobieren können, um neue Blickwinkel zu ermöglichen“, schlugen die Führungskräfte vor, oder: „Eine Software, die automatisch in eine gendergerechte Sprache umformuliert, das wäre echt praktisch!“. Und: „Wenn sich alle, Frauen wie Männer, Feminismus auf die Fahne schreiben, dann wachsen gegenseitiges Verständnis und Chancengleichheit viel schneller“. „Wir brauchen wohl noch mehr Hilfe bei der Konkretisiserung des Themas. Auch in Blick auf Seminare für die Teams“, lautete am Ende des Tages das Fazit einer Führungskraft. Die fröhliche Atmosphäre, abwechslungsreiche Gestaltung und Offenheit der Beteiligten in Diskussion und Dialogen waren nach mehrheitlicher Meinung die wichtigsten Erfolgsfaktoren dieses Tages.

Mit dem Auftrag, nun in den Fachbereichen vom Reden ins Tun zu kommen und die vielfältigen Anregungen wirklich für die Praxis zu nutzen, beendete Landrätin Angela Schürzeberg das dritte Gender Training. Dazu hatte sie noch ein besonders Angebot: Die ersten sechs Teams, die in die Umsetzung gehen wollten, konnten einen Beratungstag mit Birgit Schiche buchen. Innerhalb kürzester Zeit waren diese Beratertage belegt.

„Frauen kommunizieren anders, Männer auch“ – Gender Training, ein Praxisbericht (Teil 1)

Gender TrainingDer Landkreis Holzminden hat in den letzten Jahren durch strukturelle Veränderungen wie z.B. eine flachere Hierarchie die organisatorische Basis für mehr Chancengleichheit geschaffen. Durch eine umfassende Strukturreform in der Verwaltung im Jahr 2013 konnte der Anteil von Frauen in Führungspositionen von 33 Prozent auf knapp 50 Prozent gesteigert werden. Im nächsten Schritt sollte der „Gender-Blick“ in den Arbeitsalltag integriert werden. Und zwar von Frauen und Männern gemeinsam.

Landkreis Holzminden setzt auf Gender Training

Der Landkreis Holzminden hat seine Ziele zur Frauenquote zahlenmäßig bereits erreicht. Doch noch ist man in Sachen Chancengleichheit nicht am Ziel. Der größte Mehrwert entsteht, wenn Frauen und Männer bewusst ihre Stärken wertschätzen und miteinander verknüpfen. Doch so leicht lassen sich alte Gewohnheiten zu Rollenbildern und Sprache nicht ablegen, und ohne einen bewussten Wandel der Haltung würde man viele Chancen verschenken. So kamen die Gleichstellungsbeauftragte Sigrun Brünig, Personalentwicklerin Silke Böker und Landrätin Angela Schürzeberg auf die Idee, Gender Trainings für die Führungskräfte der Kreisverwaltung durchzuführen, um Chancengleichheit von Männern und Frauen in der Verwaltung ebenso wie im Verwaltungshandeln noch stärker zu verankern.

Kommunikation hat eine Schlüsselrolle

„Wer die öffentlichen Zustände ändern will, muss bei der Sprache anfangen“, sagte Konfizius. Dieses Zitat nahmen die drei Holzmindener Initiatorinnen zum Motto. Für sie spielt Kommunikation eine wichtige Rolle, sowohl zwischen den Führungskräften und Beschäftigten, als auch in der Kommunikation zu den Einwohnerinnen und Einwohnern. Mit dieser Vorgabe wurde das Moderatorenduo Birgit Schiche/Sven Friedrichs mit der Entwicklung des ersten Gender Trainings „Männer kommunizieren anders, Frauen auch“ beauftragt.

„Ziel des Seminares ist es, sich der klassischen Stereotypen und Kommunikationsmuster sowie der eigenen Beiträge dazu bewusster zu werden. Das jeweilige Selbstbild soll reflektiert und der besondere Mehrwert erkannt werden. Wie können Sie noch wirksamer aus Ihrer besonderen Rolle als Führungskraft kommunizieren?“, so Schürzeberg in der Einladung an die Führungskräfte.

Über Kaffeekränzchen und Seilschaften

Die Teilnahme am ersten Gender Training im März 2016 war für die Führungskräfte des Landkreises verbindlich – und nicht unumstritten. Skepsis wurde laut. Dennoch ließen sich die etwa dreißig Männer und Frauen auf die zweitägige Veranstaltung und die Denkanstöße des Moderatoreduos ein. „Die Zusammensetzung des Moderatorenteams mit Mann und Frau, ihre hohe Fachkompetenz und humorvolle Begleitung waren für uns besonders wichtig“, betonten die Teilnehmenden später.

Am ersten Tag arbeiteten Männer und Frauen zunächst in getrennten Gruppen, was einige anfangs irritierte. Doch dann ließen sie sich auf den so geschaffenen Rahmen ein, um „aus dem Nähkästchen zu plaudern“ und sich offen auszutauschen.

  • Wieso kommunizieren Frauen nach dem Modell „Kaffeekränzchen“ und Männer nach dem Muster „Seilschaft“ – und wie zeigt sich das im Alltag? Mit welchen Konsequenzen?
  • Wie füllen Männer ihre Führungspositionen aus und wie gehen Frauen damit um? Was machen Frauen anders?
  • Welche Kommunikationsmuster finden sich bei Frauen und Männern?
  • Wie können  weibliche und  männliche Potenziale am besten wirken?
  • Wie kann die Kommunikation mit Mitarbeitenden und auch mit Bürgerinnen und Bürgern gewinnbringend für alle gelingen?
  • Wie unterscheidet sich das Konkurrenz- und Konfliktverhalten bei Männern und Frauen – und wie fühlt sich das an?
  • Welche Rolle spielen Stimme und Körpersprache? Wie setze ich diese selbst ein?
  • Was heißt es, zweisprachig (Männer-/Frauensprache) zu werden?
  • Wie gehen die Geschlechter mit Risiken um und wie ist unter Druck die individuelle Neigung zu Angriff, Flucht oder Erstarrung? Wie ist das bei mir selbst?
  • Was haben Erfahrungen aus Elternhaus, Kindergarten und Schule damit zu tun?

lauteten u.a. die Diskussionspunkte.

Botschaften ans andere Geschlecht

In der zweiten Tageshälfte wechselten die Moderatoren in die jeweils andere Gruppe und luden zum Perspektivwechsel ein. So tauschten sich die Teilnehmenden über die wahrgenommenen Stärken und Schwächen der Geschlechter aus und schickten der jeweils anderen Gruppe Botschaften und Wünsche für eine wertschätzende Kommunikation und Zusammenarbeit in der Kreisverwaltung. Botschaften der Frauen an die Männer waren z.B.: „Es hilft uns für das Verständnis, wenn wir Emotionen bei euch erkennen und ihr auch drüber redet“ und “Nutzt unsere Stärken für ein ‚rundes‘ Ergebnis“. Die Männer wünschten sich umgekehrt: „Bitte keine emotionalen Reaktionen ohne Erklärung und mehr offene Botschaften“ und fragten, welche Erwartungen die Frauen an männliche Führungskräfte stellten.

Lernen mal anders

Je besser die Kommunikation gelingt, desto größer wird der Turm.
Je besser die Kommunikation gelingt, desto größer wird der Turm.

Es folgten am 2. Tag Arbeitsaufgaben in Tandems und gemischten Gruppen. Dazu nutzen die Moderatoren Elemente aus der Großgruppenarbeit wie Appreciative Inquiry und  World Café ebenso wie spielerischen Lernelemente, um zur (Selbst-)Reflexion über Kommunikation und Zusammenarbeit und die eigenen „Schubladen im Kopf“ anzuregen.

 

Alle haben Schubladen im Kopf

„Am zweiten Tag prallten beide Welten aufeinander – ein spannender Versuch, stereotype Rollenbilder sichtbar werden zu lassen!“, zog die Gleichstellungsbeauftragte Bilanz nach der ersten Veranstaltung. „Das befürchtete Weichspülen der Männer ist nicht erfolgt“, hielt einer der Teilnehmenden schmunzelnd zum Abschluss fest. „Wir alle haben Schubladen im Kopf. Es gab viel Selbstreflexion und wir haben sehr viel gelacht“, zogen auch die anderen Resümee. So entstand gemeinsam der Wunsch, das Thema weiter zu vertiefen. Das zweite Gender Training folgte noch im selben Jahr. (Siehe Praxisbericht Teil 2)

„Männer streiten anders, Frauen auch“ – Gender Training, ein Praxisbericht (Teil 2)

Gender Training3Der Landkreis Holzminden geht mit seinen Gender Trainings einen entscheidenden Schritt über die etablierten Angebote der Frauenförderung im öffentlichen Dienst hinaus. Indem er gezielt Frauen und Männer einbezieht, um gemeinsam alte Rollenbilder und Verhaltensmuster zu reflektieren und neue Sichtweisen zu entwickeln, werden sowohl Chancengerechtigkeit als auch Kommunikation und Zusammenarbeit verbessert.

Das zweite Gender Training „Frauen streiten anders, Männer auch“ mit dem Moderationsteam Birgit Schiche/ Sven Friedrichs folgte im Oktober 2016 in der Grundstruktur weitgehend der ersten Veranstaltung. Inhaltlich lag der Fokus vor allem auf dem unterschiedlichen Konkurrenz- und Konfliktverhalten von Männern und Frauen. „Bestimmt werden wir dadurch zu einem besseren Verständnis, besserer Zusammenarbeit und Konfliktlösungskompetenz kommen“, so die Intention der Holzmindener Initiatorinnen Sigrun Brünig (Gleichstellungsbeauftragte) und Silke Böker (Personalentwicklerin). Aufbauend auf das erste Training vertieften die Teilnehmenden ihre Erkenntnisse zum Status-Verhalten und den vielen meist nonverbalen Botschaften, die wir täglich und überwiegend unbewusst senden. Im Gender-Quiz traten die Führungskräfte in gemischten Teams an, um Fragen zu genderspezifischen Themen zu lösen.

Je größer Wissen und Sensibilisierung zu diesen Themen sind, desto besser lassen sich Missverständnisse und unnötige Konflikte vermeiden. Daher wurde im Gender-Talk weiter diskutiert:„Wie streiten Männer – wie streiten Frauen?“ und „Wie denken wir über Streiten, Diskutieren, Meinungsverschiedenheiten?“ – mit spannenden Erkenntnissen und Ergebnissen für die Streitkultur.wie-Männer-und-Frauen-streiten

Den Blick schärfen und voneinander lernen

Die Führungskräfte des LK Holzminden nahmen auch aus dem zweiten Gender Training einiges für sich mit: „Wie sind oft besser, als wir glauben. Und wir können den Blick noch schärfen in Bezug auf das Gelernte und unseren täglichen Umgang miteinander“. Die „Schubladen im Kopf“ helfen ebenso wie Rollenstereotype dabei, eine gewisse Berechenbarkeit und damit Sicherheit zu gewinnen. Doch es lohnt sich auf jeden Fall, solche Annahmen immer wieder zu hinterfragen und auch beim Gegenüber nachzufragen, verschiedene Meinungen mal nebeneinander stehenzulassen und sich darüber bewusst zu sein, das beide Geschlechter voneinander lernen können. Diese und weitere Erkenntnisse hielten die Teilnehmenden am Ende des Trainings fest.

Und sie wollen noch öfter in dieser Runde zusammen kommen, um bei dem Thema am Ball zu bleiben, denn es waren „Wunderbare Seminartage zur humorvollen Selbstreflexion und Beobachtung“, wie Sigrun Brünig zum Abschluss festhielt: „Beim Landkreis Holzminden existiert die Zuversicht, dass es gelingen wird, Geschlechtergerechtigkeit als ein Selbstverständnis anzusehen“. Fortsetzung folgt.