Der Landkreis Holzminden hat in den letzten Jahren durch strukturelle Veränderungen wie z.B. eine flachere Hierarchie die organisatorische Basis für mehr Chancengleichheit geschaffen. Durch eine umfassende Strukturreform in der Verwaltung im Jahr 2013 konnte der Anteil von Frauen in Führungspositionen von 33 Prozent auf knapp 50 Prozent gesteigert werden. Im nächsten Schritt sollte der „Gender-Blick“ in den Arbeitsalltag integriert werden. Und zwar von Frauen und Männern gemeinsam.
Landkreis Holzminden setzt auf Gender Training
Der Landkreis Holzminden hat seine Ziele zur Frauenquote zahlenmäßig bereits erreicht. Doch noch ist man in Sachen Chancengleichheit nicht am Ziel. Der größte Mehrwert entsteht, wenn Frauen und Männer bewusst ihre Stärken wertschätzen und miteinander verknüpfen. Doch so leicht lassen sich alte Gewohnheiten zu Rollenbildern und Sprache nicht ablegen, und ohne einen bewussten Wandel der Haltung würde man viele Chancen verschenken. So kamen die Gleichstellungsbeauftragte Sigrun Brünig, Personalentwicklerin Silke Böker und Landrätin Angela Schürzeberg auf die Idee, Gender Trainings für die Führungskräfte der Kreisverwaltung durchzuführen, um Chancengleichheit von Männern und Frauen in der Verwaltung ebenso wie im Verwaltungshandeln noch stärker zu verankern.
Kommunikation hat eine Schlüsselrolle
„Wer die öffentlichen Zustände ändern will, muss bei der Sprache anfangen“, sagte Konfizius. Dieses Zitat nahmen die drei Holzmindener Initiatorinnen zum Motto. Für sie spielt Kommunikation eine wichtige Rolle, sowohl zwischen den Führungskräften und Beschäftigten, als auch in der Kommunikation zu den Einwohnerinnen und Einwohnern. Mit dieser Vorgabe wurde das Moderatorenduo Birgit Schiche/Sven Friedrichs mit der Entwicklung des ersten Gender Trainings „Männer kommunizieren anders, Frauen auch“ beauftragt.
„Ziel des Seminares ist es, sich der klassischen Stereotypen und Kommunikationsmuster sowie der eigenen Beiträge dazu bewusster zu werden. Das jeweilige Selbstbild soll reflektiert und der besondere Mehrwert erkannt werden. Wie können Sie noch wirksamer aus Ihrer besonderen Rolle als Führungskraft kommunizieren?“, so Schürzeberg in der Einladung an die Führungskräfte.
Über Kaffeekränzchen und Seilschaften
Die Teilnahme am ersten Gender Training im März 2016 war für die Führungskräfte des Landkreises verbindlich – und nicht unumstritten. Skepsis wurde laut. Dennoch ließen sich die etwa dreißig Männer und Frauen auf die zweitägige Veranstaltung und die Denkanstöße des Moderatoreduos ein. „Die Zusammensetzung des Moderatorenteams mit Mann und Frau, ihre hohe Fachkompetenz und humorvolle Begleitung waren für uns besonders wichtig“, betonten die Teilnehmenden später.
Am ersten Tag arbeiteten Männer und Frauen zunächst in getrennten Gruppen, was einige anfangs irritierte. Doch dann ließen sie sich auf den so geschaffenen Rahmen ein, um „aus dem Nähkästchen zu plaudern“ und sich offen auszutauschen.
- Wieso kommunizieren Frauen nach dem Modell „Kaffeekränzchen“ und Männer nach dem Muster „Seilschaft“ – und wie zeigt sich das im Alltag? Mit welchen Konsequenzen?
- Wie füllen Männer ihre Führungspositionen aus und wie gehen Frauen damit um? Was machen Frauen anders?
- Welche Kommunikationsmuster finden sich bei Frauen und Männern?
- Wie können weibliche und männliche Potenziale am besten wirken?
- Wie kann die Kommunikation mit Mitarbeitenden und auch mit Bürgerinnen und Bürgern gewinnbringend für alle gelingen?
- Wie unterscheidet sich das Konkurrenz- und Konfliktverhalten bei Männern und Frauen – und wie fühlt sich das an?
- Welche Rolle spielen Stimme und Körpersprache? Wie setze ich diese selbst ein?
- Was heißt es, zweisprachig (Männer-/Frauensprache) zu werden?
- Wie gehen die Geschlechter mit Risiken um und wie ist unter Druck die individuelle Neigung zu Angriff, Flucht oder Erstarrung? Wie ist das bei mir selbst?
- Was haben Erfahrungen aus Elternhaus, Kindergarten und Schule damit zu tun?
lauteten u.a. die Diskussionspunkte.
Botschaften ans andere Geschlecht
In der zweiten Tageshälfte wechselten die Moderatoren in die jeweils andere Gruppe und luden zum Perspektivwechsel ein. So tauschten sich die Teilnehmenden über die wahrgenommenen Stärken und Schwächen der Geschlechter aus und schickten der jeweils anderen Gruppe Botschaften und Wünsche für eine wertschätzende Kommunikation und Zusammenarbeit in der Kreisverwaltung. Botschaften der Frauen an die Männer waren z.B.: „Es hilft uns für das Verständnis, wenn wir Emotionen bei euch erkennen und ihr auch drüber redet“ und “Nutzt unsere Stärken für ein ‚rundes‘ Ergebnis“. Die Männer wünschten sich umgekehrt: „Bitte keine emotionalen Reaktionen ohne Erklärung und mehr offene Botschaften“ und fragten, welche Erwartungen die Frauen an männliche Führungskräfte stellten.
Lernen mal anders
Es folgten am 2. Tag Arbeitsaufgaben in Tandems und gemischten Gruppen. Dazu nutzen die Moderatoren Elemente aus der Großgruppenarbeit wie Appreciative Inquiry und World Café ebenso wie spielerischen Lernelemente, um zur (Selbst-)Reflexion über Kommunikation und Zusammenarbeit und die eigenen „Schubladen im Kopf“ anzuregen.
Alle haben Schubladen im Kopf
„Am zweiten Tag prallten beide Welten aufeinander – ein spannender Versuch, stereotype Rollenbilder sichtbar werden zu lassen!“, zog die Gleichstellungsbeauftragte Bilanz nach der ersten Veranstaltung. „Das befürchtete Weichspülen der Männer ist nicht erfolgt“, hielt einer der Teilnehmenden schmunzelnd zum Abschluss fest. „Wir alle haben Schubladen im Kopf. Es gab viel Selbstreflexion und wir haben sehr viel gelacht“, zogen auch die anderen Resümee. So entstand gemeinsam der Wunsch, das Thema weiter zu vertiefen. Das zweite Gender Training folgte noch im selben Jahr. (Siehe Praxisbericht Teil 2)